Dr. Sebastian Kreft
# Metalshub

Dr. Matthias Parlings
# Fraunhofer IML, „Digital in NRW“

Dr. Daniel Dettling
# Institut für Zukunftspolitik

Der Geschäftsbericht der
Nichteisen-Metallindustrie

18.19

WVMetalle im Gespräch mit (Digitalisierungs-)Experten
Digital im Dialog

#


Wie ein Start-up-Unternehmer, ein Thinktank-Gründer und ein Logistikexperte über Digitalisierung denken.

Dr. Daniel Dettling,
Institut für Zukunftspolitik

Über die Arbeitswelt der Zukunft, Bildung in digitalen Zeiten und was Roboter und Kreativität miteinander zu tun haben

Vervollständigen Sie den Satz: „Digitalisierung bedeutet (für mich) …“

Dr. Daniel Dettling... Konnektivität, Kollaboration und Kreativität. Diese drei Prinzipien machen die nächste Phase der Digitalisierung aus. Ihr Kern sind die Bedürfnisse einer zunehmend vernetzten Gesellschaft. Ihre Vision ist die kreative Gesellschaft als Plattform für alle.  

Die Arbeits-/Unternehmenswelt wird sich durch Digitalisierung stark verändern. Wo sehen Sie die wichtigsten Stellschrauben für Politik und Wirtschaft, damit der Digitalisierungsprozess hierzulande gelingen kann?

Dettling: Die zentralen Faktoren sind Bildung und Selbständigkeit. Wir müssen Digitalisierung von den Menschen her denken. Es geht um ihre Bedürfnisse, Ziele und Ängste. Für die künftige Arbeitswelt ist eine digital aufgeschlossene Entwicklung der Persönlichkeit entscheidend. Flexible Arbeitsmodelle und Zeitsouveränität werden zur neuen Regel, Präsenzzeiten und hierarchische Strukturen zur Ausnahme.

Wenn sich Jobanforderungen verändern: Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter auf dem Weg hin zur Digitalisierung mitnehmen?

Dettling: Die meisten Mitarbeiter sind bereits in der digitalen Wirklichkeit angekommen und bereit, sich auf diese einzulassen. Umfragen zufolge ist eine Mehrheit sogar bereit, auf Freizeit und Urlaub zu verzichten, um sich digital weiterzubilden. Die Politik hat eine nationale Weiterbildungsstrategie angekündigt. Weiterbildung und passgenaues Lernen müssen zur neuen Norm werden, auch im Alter. Künftige Generationen werden und wollen länger arbeiten. Warum nicht für jeden Arbeitnehmer ein persönliches Konto für Qualifizierung einrichten?

„Die Antwort auf den Aufstieg der Roboter ist der Aufstieg des kreativen Menschen“ ist eine These von Ihnen. Wie ist das zu verstehen?

Dettling: Roboter können Kreativität nur simulieren. Nur wir Menschen sind kreative Wesen. Es geht nicht um Fleiß, sondern um Kreativität und Empathie. Automatisierung und Digitalisierung präzisieren menschliche Arbeit und werten sie auf. Bislang hat jede technologische Revolution auch zu gesellschaftlichem Fortschritt und mehr Wohlstand geführt. Es wird auch diesmal nicht anders sein.

Flexible Arbeitsmodelle und Zeitsouveränität werden zur neuen Regel, Präsenzzeiten und hierarchische Strukturen zur Ausnahme.

Dr. Daniel Dettling
Institut für Zukunftspolitik

Was kann jedes Unternehmen tun, um das Thema Digitalisierung in seinem Betrieb voranzubringen?

Dettling: Digitalisierung muss zur Chefsache werden. Der kreative Imperativ heißt: „Kreativ ist und bleibt, wer sich wandelt.“ Zu viele Unternehmen setzen auf Verteidigung des Bestehenden und Bewährten und sehen beim Thema Digitalisierung nur das Potenzial für Kosteneinsparungen. Digital erfolgreiche Unternehmen verstehen sich vor allem als kulturelle Organisationen. Unternehmen müssen in Zukunft mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Wir brauchen mehr Unternehmer an Schulen und Hochschulen. Es geht um eine Kultur des Talentismus. Die Balance zwischen digitaler und Selbstkompetenz wird zur zentralen Herausforderung der nächsten Jahre.

Dr. Daniel Dettling

Dr. Daniel Dettling ist Gründer der Denkfabrik Institut für Zukunftspolitik. Er ist außerdem Herausgeber der edition Zukunftspolitik und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol). Das Institut für Zukunftspolitik, gegründet im Jahr 2010, versteht sich als innovativer Thinktank, der sich für eine zukunftsfähige Politik in Deutschland einsetzt. Auf der Suche nach den politischen Antworten auf die langfristigen Herausforderungen unserer Zeit ist die Vision des Instituts ein dynamisches und zukunftsorientiertes Deutschland, das zuversichtlich nach vorne blicken kann.
[Foto: Edgar Rodtmann]

Dr. Sebastian Kreft,
Metalshub

Ãœber Produktion und Einkauf gestern und heute, digitale Unternehmenskultur und die Chancen von Blockchain in der Metallbranche

Vervollständigen Sie den Satz: „Digitalisierung bedeutet (für mich) …“

Dr. Sebastian Kreft: … digitale Technologien und Arbeitsweisen einzusetzen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Wo stehen wir in der Digitalisierung – wie weit ist sie in der Metallbranche fortgeschritten?

Kreft: Aus meiner Erfahrung steht der Einsatz von digitalen Technologien in vielen Unternehmen noch am Anfang: Auf der Einkaufsseite gelangen Bedarfsmeldungen teilweise noch handschriftlich auf einem Blatt Papier von der Produktion in den Einkauf und Lieferanten werden für Angebote „abtelefoniert“. Die Angebotsvergleiche erfolgen dann mit Excel, Bestellungen werden manuell in ein Warenwirtschaftssystem eingegeben und auch die Rechnungskontrolle geschieht oft noch händisch. Ähnlich läuft es oft auf der Verkaufsseite ab: Frachtangebote per Telefon, Angebote per E-Mail, manuelle Rechnung und Zahlungseingangskontrolle. Auch die Preisfindung findet in vielen Metallmärkten noch ohne digitale Tools statt. Während sich für einige Industriemetalle elektronisch handelbare Verträge an Rohstoffbörsen wie der Londoner Metallbörse LME entwickelt haben, gibt es für viele Metalle und Legierungen noch keinen organisierten Handel: Chrom, Titan und Silizium, Kobalt, Seltene Erden und Lithium, um nur einige zu nennen. 

Warum sollten sich Unternehmen mit diesem Thema auseinandersetzen? 

Kreft: Die Digitalisierung krempelt inzwischen mit Wucht komplette Branchen um. Dabei können digitale Technologien signifikante Wettbewerbsvorteile schaffen. Denken Sie an den Einzelhandel, der durch Amazon verändert wurde, die Taxiindustrie, die durch Uber revolutioniert wurde, oder die Hotelbranche, die durch AirBnB aus dem Nichts einen digitalen Wettbewerber bekommen hat. Im B2B-Bereich stehen mit Alibaba und Amazon zwei große digitale Player in den Startlöchern, den Metall- und Stahlhandel aufzurollen.
Leider gibt es noch viele deutsche Unternehmen der Metallindustrie, denen die Bedeutung der Digitalisierung noch nicht bewusst ist. Es ist an der Zeit, dass sich dies ändert – sonst werden sie abgehängt und verlieren den Anschluss.

Digitalisierung bedeutet Veränderung und viele Menschen haben Angst vor Veränderung.

Dr. Sebastian Kreft
Metalshub

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Herausforderungen im Digitalisierungsprozess? 

Kreft: Damit Unternehmen digitale Technologien nutzen, um neue Wettbewerbsvorteile zu erschließen, braucht es mehr als nur Technologie. Die Führungskräfte im Unternehmen müssen eine starke digitale Unternehmenskultur schaffen. Das Management muss den Mut haben voranzugehen. Digitalisierung bedeutet Veränderung und viele Menschen haben Angst vor Veränderung. Da braucht es ein kommunikationsstarkes Management-Team, das es schafft, die Belegschaft mitzunehmen. In einer konservativen Branche wie der Metallindustrie muss Digitalisierung „top down“ angestoßen werden, sonst funktioniert es nicht.

Blockchain – ein häufig gelesener Begriff, aber was ist das eigentlich, und wo kann es in unserer Branche Anwendung finden?

Kreft: Vereinfacht gesagt, ist eine Blockchain eine dezentrale chronologische Datenbank von Transaktionen. In dieser „Blockkette“ werden ständig neue Transaktions-Blöcke hinzugefügt. Die neuen Blöcke beinhalten Prüfsummen der vorherigen Blöcke, so dass diese nicht mehr nachträglich geändert werden können. Die Blockchain-Technik ließe sich grundsätzlich überall dort einsetzen, wo aktuell noch physisch Papier unterschrieben wird. Insbesondere wenn mehr als zwei Parteien an einem Vorgang beteiligt sind. Ein Anwendungsbeispiel in unserer Branche ist die Digitalisierung von Akkreditiven (Letter of Credit). Ende letzten Jahres hat der Bergbaukonzern Rio Tinto eine Schiffsladung Eisenerz an den Rohstoffhändler Cargill verkauft. Cargills Bank hat ein elektronisches Akkreditiv über eine Blockchain an die Bank von Rio Tinto ausgestellt. Statt wie bisher per physischem Kurier wurde ein elektronischer „Bill of Lading“ (Frachtbrief) verwendet, der den Eigentumsübergang regelt. Der gesamte Prozess fand digital statt, ohne Papier. Die Vorteile sind eine schnellere Abwicklung, geringeres Fehlerpotenzial, geringere Transaktionskosten und ein geringeres Risiko, dass Dokumente gefälscht werden.

Metalshub

Dr. Sebastian Kreft hat zusammen mit Dr. Frank Jackel im Jahr 2016 Metalshub gegründet. Das inzwischen 15-köpfige Start-up mit Sitz in Düsseldorf beschäftigt sich mit dem Handel von Metallen und Ferrolegierungen und hat sich zum Ziel gesetzt, Einkaufs- und Verkaufsprozesse von Stahlherstellern, Gießereien, Rohstoffhändlern und Bergbaukonzernen zu verbessern. Seit Dezember 2017 ist die Cloud-basierte Metalshub-Software live am Markt und wird bereits von mehr als 400 Metallproduzenten, ­-verwendern und -händlern weltweit genutzt.

Dr. Matthias Parlings,
Fraunhofer IML, „Digital in NRW“

Über Digitalisierungsprojekte in der mittelständischen Industrie im Allgemeinen und eine besondere Erfolgsgeschichte eines Metallunternehmens im Sauerland

Vervollständigen Sie den Satz: „Digitalisierung bedeutet (für mich) …“

Dr. Matthias Parlings: … eine große Chance und Herausforderung zur Weiterentwicklung der eigenen Produkte und Geschäftsmodelle und vor allem auch der Mitarbeiter, bei der man, wenn man es richtig angeht, aber auch viel Spaß haben kann.

Digitalisierung, Industrie 4.0, KI – diese Begriffe sind ständig und überall präsent, für viele aber immer noch sehr abstrakt. Wie bringen Sie als Kompetenzzentrum hier Licht ins Dunkel?

Parlings: In der Regel lernen unsere Mitarbeiter interessierte Unternehmen bei praxisnahen Einführungsvorträgen oder anderen Veranstaltungen zu unserer Arbeit kennen, z. B. bei Lab-Touren und Praxisworkshops. Um die Unternehmen individuell unterstützen zu können, vereinbaren wir gerne einen Besuch am Unternehmenssitz. Gerade in Betrieben der Metallverarbeitung ist es sehr wichtig, sich direkt am Produktionsstandort umzusehen. Denn es gibt oft sehr heterogene Maschinenparks, außerdem variieren Kundenanforderungen hinsichtlich Materialkennzeichnung und Bestellabwicklung stark. Auch die Mitarbeiterstruktur und die Unternehmenskultur sind sehr verschieden. Und: Man bekommt ein Gefühl dafür, wie offen die Mitarbeiter dem Thema Digitalisierung gegenüberstehen und ob nicht zunächst andere „Baustellen“, z.B. in den Prozessen, zu beheben sind. Wenn sich bei einem solchen Besuch ein konkretes Digitalisierungsprojekt herauskristallisiert, kann das Unternehmen die Umsetzung mit Unterstützung des Kompetenzzentrums beantragen.  

Gibt es ein Projekt, das für Sie in der Rückschau besonders heraussticht – eine Lieblings-Digitalisierungs-Erfolgsgeschichte sozusagen?

Parlings: Eine besondere Erfolgsgeschichte ist sicherlich die der Firma Beulco aus Attendorn, einem führenden Anbieter von Metallprodukten für die Wasserversorgung und Kupferproduzent. Der Geschäftsführer ist Anfang 2017 im Zuge einer neuen Unternehmensstrategie auf uns zugekommen. Daraus entstand ein Projekt, bei dem wir Beulco über ca. ein Jahr auf dem Weg in Richtung digitale Transformation begleitet haben. Gemeinsam sind wir z.B. erste Schritte hin zu fahrerlosen Transportsystemen gegangen und wir haben neue Messinstrumente im Bereich der optischen Sensorik eingeführt. Dadurch kann man etwa den Füllgrad von Behältern im Lager digital schnell erfassen. Inzwischen sind Digitalisierungsprozesse bei Beulco fest verankert, so dass das Unternehmen eigenständig weitere Projekte etwa im Vertrieb, in Sachen E-Commerce, vorantreiben konnte.
Besonders schön ist, dass wir das Unternehmen im Rahmen eines vom Land NRW geförderten Forschungsprojektes zu sog. soziotechnischen Risiken weiterbegleiten können: Bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten gibt es oft Vorbehalte der Mitarbeiter – hinsichtlich der Veränderung des Jobs, dem Wert der eigenen Arbeit etc.. Wir wollen gemeinsam diese Risiken bewerten und sie minimieren. Außerdem hat sich Beulco einen Platz im Digital Hub Logistics in Dortmund gesichert. Dort wird das Unternehmen die Entwicklung von smarten und intelligenten Lösungen für den Trinkwassersektor vorantreiben. 

Was kann jedes Unternehmen tun, um das Thema Digitalisierung in seinem Betrieb voranzubringen? 

Parlings: Das Thema muss absolute Chefsache sein. Die Geschäftsführung sollte einen Mitarbeiter mit hoher Motivation für das Thema mit der Aufgabe betrauen, erste Anknüpfungspunkte zu identifizieren. Dabei kann Hilfe von externen, neutralen Einrichtungen, wie den Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren, den entscheidenden Schritt nach vorne bringen.

Das Thema muss absolute Chefsache sein.

Dr. Matthias Parlings
Fraunhofer IML, „Digital in NRW“

Aus Ihrer Erfahrung: Woran scheitern die meisten Unternehmen im Digitalisierungsprozess?

Parlings: Vor allem, wenn das Thema wegen des großen Drucks im Tagesgeschäft in der Priorisierung nach unten rutscht und die Geschäftsführung es von ihrer Agenda streicht – bewusst oder unbewusst.

Digital in NRW

Dr. Matthias Parlings ist Geschäftsstellenleiter Metropole Ruhr bei „Digital in NRW“ und Abteilungsleiter Supply Chain Development & Strategy am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML.
„Digital in NRW – Kompetenz für den Mittelstand“ ist Teil des Förderschwerpunkts „Mittelstand-Digital“ des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi). Bundesweit unterstützen 25 Kompetenzzentren kleine und mittlere Unternehmen (KMU), indem sie kostenloses Know-how vonseiten neutraler und renommierter Experten/Institutionen anbieten. Denn gerade bei KMU sind finanzielle und personelle Ressourcen für Digitalisierungsprojekte häufig knapp. Rund 30 Unternehmen haben mittlerweile entsprechende Projekte realisiert, aktuell laufen fünf weitere – Bewerbungen sind noch möglich!
Der „Digital Hub Logistics“ in Dortmund ist einer von zwölf Digital Hubs in Deutschland, die Teil der de:hub-Initiative des BMWi sind. Er unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle im Bereich der Digitalisierung mit Fokus auf Logistik und Produktion.